sportszene.tirol

Die Leiden eines Radsportfans

Seit Tagen „grmpfelt“ (© Maja Storch) es wieder in meinem Bauch. Die Frau Storch ist eine Kluge und meint, dem müsse man zwecks Erhaltung der Gesundheit immer nachgehen. Also hab‘ ich nachgedacht und jetzt weiß ich, woher es kommt, das Grmpfl.

Wieder deswegen, weil ich kenn das schon. Es hat schon letztes Jahr einmal gegrmpfelt, das war damals im Vorfeld der Olympischen Spiele. 

Ich hol kurz aus, dem Kontext wegen: Olympische Spiele Tokyo. Aus österreichischer Sicht Quotenmisere für das olympische MTB-Rennen der Damen. Als Außenstehende konnte man einfach erkennen: ein Startplatz – aber mit Mona Mitterwallner und Laura Stigger zwei Topathletinnen, die sich BEIDE den Start verdient und Österreich würdig vertreten hätten. Klassischer Fall von Mangelversorgung. Der Kuchen ist zu klein. Eine wird fahren, eine muss daheimbleiben. So ein Mist! Die Schweiz darf drei schicken, hätte aber auch eine gute vierte Fahrerin gehabt (haben auch so Platz 1 bis 3 erreicht und sind sich danach vor Glück in den Armen gelegen). Man muss also in Österreich einen Weg finden, um das Problem zu lösen. Ein Problem, das nicht Mona Mitterwallner und nicht Laura Stigger verursacht haben. Sie sind die Leidtragenden. Der Verband muss Kriterien festlegen. Dementsprechend wurde entschieden, alle haben es akzeptiert. Die eine wohl glücklicher darüber als die andere. Dass Radsport unberechenbar ist, haben wir Fans dann im Guten (absolut unerwarteter Olympiasieg von Anna Kiesenhofer; ich hab sowas von geheult) wie im Schlechten (schwarzer Tag von Laura Stigger; ich hab sowas von geheult) erfahren.

So ist das Leben. Es ist nur Sport. Keiner ist gestorben. Wann kommt das nächste Rennen?

Medial aber begann hier ein Ausspielen von Mona und Laura. Da also begann mein Grumpfl. Ein Grmpfl zeigt einen erlebten Missstand, eine Dissonanz an. Die Opfer der Mangelversorgung werden auch noch zum medialen Opfer? Geht’s noch? Hilft das? Wem hilft das? Es wird die Frage aufgeworfen, ob das denn gerecht ist, ob die eine nicht für die andere hätte verzichten müssen/sollen/dürfen. Auf diese Frage kann es nur eine unrichtige Antwort geben, weil die Frage falsch ist. 

Mein Grmpfl hat sich dann im Spätherbst bei der Straßen-EM in Trient gelegt. Als bunt zusammengemischte Truppe, bewaffnet mit Tirolfahnen, haben wir Laura UND Mona angefeuert und BEIDE mit Trinkflaschen versorgt. BEIDE sind ein super Rennen gefahren und haben viel gelernt.

Wie eingangs gesagt, jetzt ist das Grmpfl also wieder da und das ärgert mich. Es soll weg. Also, warum ist es wieder da? Die Radsaison hat begonnen und mit ihr die ersten MTB-Rennen. 

Als völlig verrückter Radsportfan oute ich jetzt zur besseren Einordnung meinen allgemeinen Gemütszustand in einer Saison: Im Grunde bin ich die meiste Zeit über arbeitsunfähig. Ich lechze von Rennen zu Rennen. Ich überlege, bei welchen Rennen ich vor Ort live dabei sein kann. Ich schaue mir die Rennen teilweise mehrfach – „on demand“ machts möglich – an. Ich denke mir, shit am Sonntag ist Muttertag, aber ich MUSS ja das Weltcuprennen in Albstadt sehen. Ja, ich bin auch Mutter. Aber da hat das Muttersein Pause. 

Ich fiebere mit ALLEN Athletinnen mit. Ich freue mich, wenn die Australierin Rebecca McConnall (endlich!!!) ihr erstes Weltcuprennen gewinnt. Ich frage mich, ob Loana Lecomte wieder einen derartigen Megastart in die Saison hinlegt wie letztes Jahr. Ich werde kribbelig ob der Kurvenlage von Evie Richards. Ich kann es kaum erwarten, wie sich Jolanda Neff und Pauline Ferrand Prevot heuer matchen werden. Die eine hat ihren Mann verlassen, die andere wurde von einem inneren Organ verlassen. Ja, die Athletinnen haben neben dem Radfahren noch andere Sorgen. Auch das wird oft vergessen.

Diese Szenerie und Dramaturgie allein würden mir schon zu meinem himmlischen Glück reichen. Aber jetzt kommt‘s: Against all odds haben wir in Österreich, in Tirol(!), ZWEI Topathletinnen, die vorne mitmischen. Das halten meine Nerven kaum aus. Ich bin erledigt.

Mir wird schlecht, wie die Laura eine Abfahrt anattackiert, die ich nicht mal zu Fuß runterkomme. Ich sterbe vor Spannung, wenn Mona Stück für Stück aufholt. Und am Ende bin ich einfach heilfroh, wenn BEIDE heil im Ziel sind. Ich bin froh, dass es hier junge Frauen gibt, die ihren Traum leben dürfen (Das allein ist der Lotto-Sechser im Leben.). 

Aber bitte, helft mir nicht! Mir muss nicht geholfen werden, genau DESWEGEN sind wir Fans da, eben weil es spannend ist. Wenn alles gut geht, stehen Mona UND Laura in Paris am Start. Das wäre sooo coooooool! 

Meine Freude über Mona UND Laura und meine Begeisterung über die Leistung von BEIDEN stehen aber im krassen Gegensatz zur medialen Berichterstattung, die mich wütend macht. 

Und dieser Gegensatz ist die Ursache des Grmpfls. 

Was ist also falsch an der Berichterstattung? Sie ist nicht falsch, sie „fühlt“ sich falsch an. Mona besser als Laura, Laura besser als Mona. Mitterwallner-Show hier, Stigger enttäuscht und gibt kein Interview dort etc. Mein Gott, das sind junge Athletinnen, fast noch Kinder. Hat denn keiner Mutter- oder Vatergefühle? Wie kann man so schreiben? Das ruft mein Herz.

Mein Hirn sagt: Eine fachliche Kritik an den Fahrten und Fahrerinnen, das wünsche ich mir. Man könnte fragen, wann die eine ihren Innenschifehler in den Griff bekommen wird oder wie die andere mit ihrer Startschwäche bei Vollbesetzung eines Weltcuprennens unbeschadet durch die erste Kurve kommen will. Das halten Mona UND Laura sicher aus. Ich vermute mal, die sind mit sich selbst noch viel kritischer.

Aber dazu müsste man als Reporter vermutlich zu den Rennen gehen und den lebhaften Diskussionen der Fans zuhören. Radsport muss man sehen, das kann man nicht beschreiben. Nicht vom Studio aus. 

Die jetzige Form der Berichterstattung sorgt für negative Gefühle, es tötet meinen Enthusiasmus und sorgt für eine Herzverkleinerung bei uns Fans. Denn es suggeriert: Es darf nur eine geben. Nur eine kann in unsere Herzen. Es gibt eine Beste, die andere muss weg. Da fragt man sich, woher kommt dieses Denken? 

Wir Fans denken nicht so. Das Radsportherz ist bekanntlich das größte von allen, da haben alle Platz, ob groß ob klein, Frau oder Mann, Holländerin (Marianne Vos, die einer Konkurrentin im Rennen nach deren Defekt hilft; nebenbei ca. 10fache Weltmeisterin) oder Italiener (Sonny Colbrelli, der Paris Roubaix gewinnt und anschließend hollywoodreif heult sie ein Schlosshund). Es geht immer um Emotionen – dafür brauchen wir VIELE Athletinnen, nicht eine. Radsport ist Drama pur. Schwere Stürze. Colbrelli hat jetzt einen Herzschrittmacher und mit Amy Pieters kämpft eine holländische Weltmeisterin sich gerade aus einem monatelangen Koma zurück ins Leben.

Einige Athleten werden wir tief in unser Herz einschließen und andere werden wir ob iher Leistung respektieren. 

Es gibt in Wahrheit im Rennen keine Gegner. Alle Athletinnen brauchen sich gegenseitig. Um sich zu messen, ja. Aber in erster Linie: Um bei uns Emotionen zu erzeugen. Im Endeffekt ist das auch die finanzielle Grundlage ihres Berufs. Ohne spannende Rennen keine Fans, ohne Fans keine Sponsoren. Mona und Laura kämpfen gemeinsam um Weltcuppunkte für Österreich – für das Nationenranking – für die olympischen Spiele in Paris. Monas Leistungen helfen Laura und Lauras Leistungen helfen Mona. 

Ob die beiden nicht auch Konkurentinnen sind? Ja sicher! Und sonst noch Fragen?

Wie schließt man so eine Statement? Eine Bitte formulieren, das verweigert mein Stolz und meine Erfahrung. Moralkeule schwingen ebenso wenig, bin ja kein Priester. Ach, mein Grmpfl ist weg! Na dann ist ja gut.

Ich muss mich bereitmachen. Morgenabend ist Weltcup Short Race in Albstadt. Laura UND Mona sind am Start. Yo, raceday!

Autorin Andrea Koschier ist Ex-Radprofi, mehrfacher österreichische Meisterin auf der Straße und praktizierende Psychologin.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

code