Ernst Lorenzi

Veränderte Ausgangslagen

Mit dem Team Relay morgen Mittwoch (12.30 Uhr) beginnt im französischen Les Gets die diesjährige Mountainbike-Weltmeisterschaft. Mit dabei sind auch die beiden Tirolerinnen Laura Stigger und Mona Mitterwallner. Erstere musste zuletzt vier Wochen wegen eines Infekts komplett pausieren, zweitere trat gesundheitlich enorm angeschlagen mit einer Sondergenehmigung bei der Elite-EM in München an. Radsport-Expertin Andrea Koschier analysiert die vergangenen Wochen und blickt auf die WM voraus.

In den vergangenen Wochen war im Mountainbike-Weltcup einiges los. Mona fuhr in Übersee starke Ergebnisse ein, Laura musste hingegen krankheitsbedingt pausieren. Wie fällt dein Fazit aus?

Mona fährt heuer ein Riesenprogramm. Es sind ja im Weltcup deutlich mehr Rennen als vergangenes Jahr, und dazu kommen jeweils auch die Shorttrack-Bewerbe am Freitag. Ich dachte eigentlich, sie legt mal, wie viele andere, eine Pause vor der WM ein, aber das entspricht vermutlich nicht ihrem Naturell. Mona fuhr, wie du richtig sagst, in Übersee sehr stark – eigentlich fährt sie die ganze Saison über konstant stark und immer „ihr Rennen“. 

Laura wurde in Vallnord von einem Virus erwischt, der sie offensichtlich sehr lange begleitete. Das sehen wir heuer bei sehr, sehr vielen Fahrern und Fahrerinnen: Dass die wirklich über Wochen keine Rennen fahren und auch danach noch weg vom Fenster sind. Aber so ist es. Ich sag mir immer: Einen Virus oder Infekt, den der Körper hatte, kennt er beim nächsten Mal. Für Laura war das Nichtstun und geduldig sein sicher die schwierigste Übung in den vergangenen Wochen.

Mona hat über den Verband die Ausnahmegenehmigung erwirkt, sowohl bei der EM in München als auch bei der WM in Les Gets in der Elite-Klasse starten zu dürfen. Wie bewertest du diesen Schritt?

Eine Bewertung steht mir da, glaube ich, nicht zu. Auf der Straße und im Cross haben die Athletinnen lange um die Möglichkeit gekämpft, eine U-23-Kategorie zu haben, wie es ja bei den Männern schon lange der Fall ist. Ansonsten muss eine 19-Jährige direkt in die Elite aufsteigen. Das ist ein Riesenschritt. Auf der Straße haben wir heuer bei der WM in Australien zum ersten Mal eine U-23-Wertung bei den Frauen, auch wenn sie gemeinsam mit der Elite ins Rennen gehen. Im Mountainbike Cross Country ist es meines Wissens so, dass die Athletinnen ein Jahr U23 fahren müssen, dann dürfen sie im Weltcup in die Elite aufsteigen. Den Schritt sind ja viele gegangen, wie zum Beispiel Laura und auch Loana Lecomte. Nur die Möglichkeit, auch bei EM oder WM im Elitebereich zu fahren, die ist eigentlich nicht vorsehen. Nun hatte Mona die Möglichkeit bekommen. Anhand von Monas Aussagen wissen wir, dass für sie eben nur der Sieg in der Elite zählt. Das ist ihre Entscheidung. Klar ist aber jetzt auch, dass sie nicht mehr in die U23-Kategorie zurückkann, wo sie ja nächstes Jahr auch noch startberechtigt gewesen wäre. 

Laura hat auf die Ausnahmegenehmigung verzichtet. Für dich verständlich?

Ja. Wer die absoluten Saisonhighlights wie WM oder Olympia verfolgt, der weiß, dass bei diesen Rennen von der Weltelite noch ein Zacken schneller gefahren wird. Laura war heuer zwar schon mal vorne mit dabei und ich hätte ihr auch einen Sieg in Andorra oder Übersee zugetraut, dann kam aber der Infekt dazwischen. Für einen WM-Sieg in der Elite reicht das, denke ich, heuer einfach noch nicht. Da ist es klüger, sich die Latte nicht zu hoch zu legen, sondern ruhig und konstant weiterzuarbeiten.

Mona gab nach dem EM-Rennen, das für sie enttäuschend verlaufen war, bekannt, dass sie wenige Tage vorher noch Corona-positiv war. War ihr Antreten in München unter diesen Voraussetzungen vertretbar?

Das muss man ihre behandelnden Ärzte, ihr Team und den Verband fragen. Wir haben da zu wenige Infos, um das bewerten zu können. Für mich bleiben jedoch viele Fragen offen: Was mich stutzig macht, ist ihre Aussage, anfangs der Woche noch positiv gewesen zu sein. Ich gehe davon aus, dass sie vor der Anreise negativ getestet wurde. Das ist das eine. Das andere ist: Ist es klug und medizinisch vertretbar, in dieser Woche zu trainieren und ein Rennen zu bestreiten? Aber das kann ich nicht beantworten. Ich kann nur für Mona hoffen, dass sie da nicht mit dem Kopf durch die Wand will und den Fehler macht, ihre Gesundheit nachhaltig zu schädigen. 

Laura startet nach ihrer Erkrankung samt Trainingspause in Les Gets also im U23-Bewerb. Ist sie als Weltcup-Elitefahrerin dort automatisch Top-Favoritin? Ihre stärksten Widersacherinnen?

Mona wäre für mich in Les Gets die Favoritin auf den Sieg gewesen, weil in der U23-Kategorie der Start im Vergleich zur Elite recht übersichtlich verläuft. Ich hätte – bevor Mona und Laura krank wurden – auf einen Doppelsieg für Österreich gehofft. Jetzt wurden die Karten neu gemischt. Laura wird es nach der Erkrankung sehr schwer haben, um den Sieg zu kämpfen. Eine ausgemachte Sache wäre das aber ohnehin auch vorher nicht gewesen. Line Burquier aus Frankreich, Puck Pieterse aus den Niederlanden, Giada Specia aus Italien oder die Dänin Sofie Pedersen sind megastark. Dazu noch die Fahrerinnen aus Übersee, die wenig Weltcup fahren und wir daher nicht gut kennen. Die drei Erstgenannten kennt man eigentlich mehr aus der Radquerszene, wo sie auch in der Elite Rennen gewinnen können. Schade ist, dass laut Entry List die Niederländerin Fem van Empel nicht dabei ist. Sie konnte vergangenen Winter Marianne Vos in einem Eliteweltcuprennen auf Eis und Schnee schlagen. Wir dürfen nicht den Fehler machen, davon auszugehen, dass die schwächer sind, weil sie U23 fahren. Vielmehr sind das Topathletinnen, die eine umfassende Radausbildung erhalten, die auf der Straße, Radquer und Mountainbike fahren. Die sind auch technisch absolut tipptopp. Die Puck Pieterse teilt auf Social Media immer wieder Videoclips von ihren Kunststücken, wie sie zum Beispiel mit dem Rad Stufen hochhüpft oder einhändige Wheelies über mehrere Kehren fährt. Also das U23-Rennen wird mit Sicherheit eines: Nichts für schwache Nerven. 

Bei der EM in München war eigentlich Pauline Ferrand Prevot die klar die stärkste Fahrerin, wurde von einem Defekt gebremst. Ist sie einfach mit ihrer Erfahrung in der Lage, auf den Punkt genau da zu sein?

Du kennst mich ja, ich hab die gesamte Saison über gesagt, Pauline wird diese Heim-WM in Les Gets gewinnen wollen, koste es, was es wolle. Sie hat die WM auch immer klar als ihren Saisonhöhepunkt angegeben. Der Weltcup interessiere sie gar nicht. Als sie dann aber bei ihren wenigen Renneinsätzen so gar nicht  in Tritt kam, dachte ich mir: Also das wird heuer nichts mehr. Dann kam München und wir sahen eine andere, die alte Pauline. Die mit der Form für die richtig großen Rennen. Pauline ist eine Fahrerin, die in ihrem Leben schon so viele Höhen und Tiefen, ob psychisch, ob körperlich erlebt hat. Wenn eine weiß, wie man zu einem gewissen Zeitpunkt in Topform sein kann, dann ist das Pauline. Und Jolanda Neff kommt da gleich hinterher. Diese kostbaren Erfahren müssen zum Beispiel Laura und Mona erst sammeln. 

Loana Lecomte und Pauline sind in einer eigenen Liga gefahren. Erwartbar vor deren Heim-WM?

Hmmm. Das war jetzt „nur“ die EM, wo keine Amerikanerin, keine Rebecca McConnell aus Australien am Start waren. Aus Europa fehlten, wenn ich mich richtig erinnere, einige Italienerinnen und Jenny Rissveds. Wenn man über die Siege spricht, muss man immer auch mitdenken, wer denn beim Rennen abwesend war. Aber klar: München lief vor allem für Pauline sehr gut. Das war ein Warnschuss für alle anderen, auch für Loana. Und man weiß auch nicht, ob eine Neff etwa alle ihre Karten auf den Tisch  gelegt hat oder ob die EM für sie ein Testrennen am Ende eines Trainingsblocks war. Es bleibt spannend!

Welche Chancen räumst du Mona in der Elite-WM ein?

Hättest man mich das vor der EM gefragt, hätte ich gesagt: Vielleicht Top fünf, wenn alles gut geht. Man darf nicht zu viel von Mona erwarten, auch wenn sie selbst immer davon spricht, gewinnen zu wollen. Bei der WM werden zirka 60 oder 70 Fahrerinnen an den Start gehen. Der Start wird für Mona jedenfalls brutal. Das heißt, sie muss von weit hinten, vielleicht von so weit hinten wie noch nie, Fahrerin um Fahrerin überholen. Gut, auf der Strecke gibt es zwei sehr lange und steile Anstiege, wo auch gut überholt werden kann.  Jetzt, also nach der EM in München, kann ich das gar nicht mehr einschätzen. Vielleicht sollten wir einfach darauf hoffen, dass wirklich gut geschaut wird, ob sie in der Lage ist, das Rennen überhaupt zu bestreiten. Eine WM gibts jedes Jahr, die Gesundheit nur einmal.

PROGRAMM DER MOUNTAINBIKE WM IN LES GETS

Foto: Ernst Lorenzi

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