Armin Küstenbrück/EGO-Promotion/ÖRV

Die Bilanz der Expertin

Radexpertin Andrea Koschier, in den vergangenen Tagen selbst vor Ort bei der Mountainbike-Weltmeisterschaft im französischen Les Gets, zieht Bilanz über die Titelkämpfe. Und blickt auch voraus zum Weltcupfinale nach Val di Sole am kommenden Wochenende.

Die WM in Les Gets ist geschlagen. Pauline Ferrand Prevot ist Doppel-Weltmeisterin, zündete sowohl im Short Track als auch im Cross Country ein sportliches Feuerwerk ab. Was sagst du zu ihrer Leistung?

Ihre Leistung in beiden Rennen waren sowohl von der Renntaktik als auch vom Leistungsvermögen her mehr als beeindruckend. Eine Machtdemonstration, wie man es selten sieht. Bei beiden Rennen riskierte sie alles, indem sie sehr früh attackierte. Sie fuhr auch anders als die meisten anderen Fahrerinnen ein Hardtail, kein Fully. Damit hat sie bergauf einen Gewichtsvorteil, aber in den Wurzelpassagen einen Nachteil. Das heißt, ihre Taktik war: Ich fahre früh los und schaue nie zurück. Alles oder nichts. Im Cross Country war ihre erste Runde mit 13:00 die schnellste Runde im gesamten Rennen.  Die nächsten Runden fuhr sie konstant zwischen 13:30 und 14 Minuten. Riskant war die Taktik deshalb, weil sie ja ihre Gegnerinnen nicht einschätzen konnte, nachdem sie ja kaum im Weltcup gefahren war. Aber offensichtlich war die EM am Wochenende vorher in München die Generalprobe in puncto Form. Ferrand Prevot ist jetzt, neben vielen wichtigen und großen Siegen, vor allem eins: Die Frau, die im Mountainbike Doppelweltmeisterin bei einer Heim-WM wurde, und der einzige Mensch, der in einem Jahr bei drei Weltmeisterschaften, nämlich Straße, Crosscountry und Radquer gewinnen konnte. Das ist kaum zu toppen.

Silber im Cross Country ging an Jolanda Neff, eine weitere routinierte Fahrerin. Ist Erfahrung gerade bei einem Großevent wie einer WM besonders wichtig?

Ich denke schon. Bei einer WM ist vieles anders, man fährt in einem „anderen“, dem National-Team, die Betreuer sind andere. Am Start ist die Anspannung direkt spürbar. Erfahrung gibt Sicherheit. Außerdem führt die Wahnsinnsstimmung des Publikums bei manchen dazu, zu schnell zu starten. Da ist dann zu viel Adrenalin im Spiel. Jolanda Neff hat es anscheinend wirklich gelernt, ihr Tempo zu fahren. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Egal, ob vorne eine wegfährt oder von hinten welche kommen. Das hat ihr – neben ihrem Können – die Silbermedaille beschert. 

Bronze holte sich Laura Stiggers Specialized-Teamkollegin Haley Batten. Sie hatte nicht wirklich jemand auf der Rechnung, oder?

Viele hätten eher von Loana Lecomte eine Medaille erwartet. Oder von der Schwedin Jenny Rissveds, die nicht am Start war. Lecomte ging als eine der Dominatorinnen des Weltcups mit leeren Händen von der Heim-WM nach Hause. Eine Wiederholung des vergangenen Jahres, wo sie als Topfavoritin bei Olympia leer ausging. Haley gehörte sicherlich zum erweiterten Favoritinnenkreis. Bei den letzten Weltcuprennen fuhr sie sehr stark. Gerade beim letzten Weltcuprennen hatte sie auf den Anstiegen Mona Mitterwallner im Schlepptau -– und das will ja bekanntlich was heißen!

Zu den Österreicherinnen: Laura ging in der U23 an den Start, landete nach langer Erkrankung auf Rang 14 und war damit laut eigenem Bekunden letztlich zufrieden. Deine Einschätzung?

Laura konnte einem zu Beginn des Rennens wirklich leid tun. Sie wurde gnadenlos an den langen Anstiegen nach hinten durchgereicht. Aber sie zeigte Moral und gab nicht auf. Eine Augenweide waren wieder ihre Downhillpassagen, wo sie extrem flüssig fährt. Was Laura auszeichnet ist, dass sie bei der Zieldurchfahrt beim Publikum abklatscht und sich bei ihren Fans bedankt. Zu einem Champion gehört es auch, Niederlagen zu akzeptieren. In Summe kann man sicher diskutieren, ob der WM-Start sinnvoll war, aber das weiß man ja vorher nicht. Laura hat sich, denke ich, auch wenig ausgerechnet und kann daher von den gesammelten Erfahrungen für die Zukunft profitieren. 

Mona Mitterwallner hat, nachdem sie auch bei der WM per Sondergenehmigung des Weltverbandes in der Elite-Klasse gestartet ist, gewohnt hohe Erwartungen formuliert und war am Ende über Rang 7, der gerade auch nach ihrer Erkrankung im Vorfeld, eigentlich aller Ehren wert ist, enttäuscht. Wie bewertest du ihre Leistung?

Vor dem Rennen war ich skeptisch wegen ihres Starts. Sie ist aber entgegen meiner Erwartung überraschend gut weggekommen. Am Ende des ersten langen Anstiegs der ersten Runde lag sie so um Platz 20. Ihre Rundenzeiten waren auch sehr konstant, sie lagen immer um die 14:30. Meiner Meinung nach fuhr Mona ein super Rennen und sie müsste mit dem Ergebnis -–Erkrankung hin oder her – mehr als zufrieden sein. Sie wurde von Fahrerinnen geschlagen, die entweder in der Saison auch vor ihr lagen, oder die eben zur WM hin ihre Form noch steigern konnten.  Was ich wirklich schade finde ist, dass Mona mit ihrem Aufstieg in die Elite im nächsten Jahr verhindert, dass sie als U-23-Fahrerin an der Staffel für Österreich teilnehmen kann. Da hätten wir – Gesundheit vorausgesetzt – wirklich ein gutes Frauenteam gehabt. Katrin Embacher als Juniorin, Mona als U-23-Fahrerin, Laura als Elitefahrerin. 

Muss Mona vielleicht lernen, die Ansprüche an sich selbst etwas zurück zu schrauben? Mitunter entsteht der Eindruck, dass sie in ihrem Tunnel Fahrerinnen aus der Weltelite regelrecht unterschätzt.

Das ist eine schwierige Frage. Ich kenne Mona nicht persönlich, und weiß daher nicht, was sie denkt. Ich ziehe meinen Hut vor ihrem Leistungsvermögen und ihrer Sturheit – das meine ich im positiven Sinn. Lassen wir mal diese und die nächste Saison vorbeigehen. Ich denke schon, dass sie gesehen hat, dass es in der Elite kein Spaziergang mehr ist. Und im nächsten Jahr kommen wieder neue Fahrerinnen aus der U-23-Kategorie in die Elite. Die Rundenzeiten der Siegerin und der Zweitplatzierten aus dem U-23-Rennen sind beeindruckend. 

Ein kurzer Ausflug zu den Herren: Was sagst du zum zehnten Weltmeistertitel von Nino Schurter?

Ich gönne es ihm von Herzen. Viele dachten, das ist ein Sieg, den sich Tom Pidcock nur abholen muss. Aber Nino Schurter hat sich eine gute Taktik zurechtgelegt. Pidcock, der ja diese Saison kaum Cross Country gefahren war, musste aus einer hinteren Startreihe fahren und war so schon zu Beginn unter Druck. Schuster hielt den Druck konstant aufrecht und lieferte sich zum Schluss mit dem Spanier Valero Serrano ein faires und packendes Duell.  Der Sieg Schurters ist auch ein Sieg für den Mountainbikesport. Oft entstand der Eindruck, Überflieger wie van der Poel oder Pidcock brauchen ihr Straßenrad nur in die Ecke zu stellen, kommen zum Cross Country und fahren alle in Grund und Boden. 

Ein Blick voraus: Am kommenden Wochenende steht das Weltcup-Finale in Val di Sole am Programm. Dort startet neben Mona auch Laura wieder in der Eliteklasse. Die Zeit bis dahin ist abermals kurz. Was glaubst du, sind die beiden im Stande, in Italien zu leisten?

Oh, das werden wir sehen, aber die beiden werden vermutlich heute von Les Gets heimfahren, morgen Wäsche waschen und übermorgen nach Italien fahren. Also, da wird sich formtechnisch nicht viel tun. Ich denke, dass Mona in Les Gets schon in Topform war, auch wenn andere da anderer Meinung sein mögen. Bei Laura könnte es mit der Form wieder bergauf gehen, aber wie gesagt: Eine Woche ist sehr, sehr knapp. 

In Australien findet heuer noch die Straßen-WM statt, erstmals mit einer eigenen U23-Wertung der Damen. Würde dort ein Start von Laura oder Mona Sinn machen?

Ich denke, dass Mona eher wieder die Marathon-WM in Dänemark fahren will, als ein Straßenrennen. Ich vermute, dass Mona eher dieses Ziel, also die Verteidigung ihres Weltmeistertitels, ins Visier nimmt. Spannend wird es da für sie, wie sie auf der vermutlich flachen Strecke zurechtkommt und wie sie das taktisch anlegt. Für Laura würde die Straßen-WM in Australien nach der langen Pause sicher Sinn machen. Es ist nicht übermäßig viel Zeit bis Ende September, aber sie sollte reichen, um wieder in Form zu kommen.  Dieses Rennen wird taktisch eine Besonderheit: Es wird ein „Rennen im Rennen“. Die U-23-Fahrerinnen starten gemeinsam mit der Elite. Das heißt, die Nationen müssen sich überlegen, auf welchen Titel sie abzielen und so ihr Team aufstellen. Für kleine Nationen mit einer sehr starken U-23-Fahrerin ergeben sich hier sicher Möglichkeiten. Es wird spannend, ob die großen Nationen wie Italien oder Holland eine gute Elite-Fahrerin zu Gunsten einer guten U-23-Fahrerin zu Hause lassen. Wissen werden wir das erst, wenn die Startaufstellung fixiert ist. Ich hoffe natürlich, dass Laura fährt und traue ihr einiges zu.

Foto: Armin Küstenbrück/EGO-Promotion/ÖRV

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